Spanien

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Road Cinema an der Roten Tür

Die kurzen aber steilen Hügel entlang der baskischen Küste bringen mich gehörig ins Schwitzen. Vielleicht aber auch das Gepäck oder die spätsommerliche Hitze. So genau kann man das nicht sagen. Irgendwie aber kommen mir die letzten Kilometer deutlich anstrengender vor als die zweitausend Kilometer zuvor. Keuchend stehe ich am Straßenrand und schütte lauwarmes Wasser hinunter. An mir vorbei zieht ein indisch-englischer Radpilger mit gerademal einem kleinen Tagesrucksack. In mir erwächst ein Gedanke der mir schon oft genug Kopf und Kragen gekostet hat: Dir werd ich es schon zeigen, du Sonntags-Radler! Diesmal aber sollte dies kein größeres Problem werden, wir haben einen ähnlichen Rhythmus und beschließen den Tag gemeinsam weiter zu radeln. Am Abend haben wir den kleinen Küstenort Ondorroa erreicht. Uns bleibt nichts anderes als uns kurz zu trennen, eine Stunde später treffen wir uns wieder: Kiran steckt frisch geduscht in glänzender, frischer Biker-Kluft, ich bin kurz ins Meer gesprungen und bin in eine frisches T-Shirt geschlüpft.
Wir haben uns am Nachmittag einige Kilometer vom Jakobsweg entfernt, vom meist gegangenen Pilgerweg der Welt. Für Reisende ist er Fluch und Segen zugleich. Zieht er doch jedes Jahr tausende von Hobbie-Pilger an. Allerdings leitet er den endlosen Touristenstrom doch in eine klare Bahn. Hier nur wenige Kilometer abseits bleibt der Tourismus praktisch gänzlich aus. Statt Nachtclubs, Herbergen und Souvenirshops gibt es hier billige Bars, Seebären und Fischer. Auf den Straßen dominiert Baskisch, eine Sprache die augenscheinlich nicht das geringste mit dem Spanisch zu tun hat, mit der Sprache die ihnen "mit Gewalt gebracht" wurde. An praktisch jeder Ecke prankt ein Graffithi mit Sprüchen wie "Gora ETA Gora!", über vielen Regierungsgebäuden hängen Plakate welche die die Heimholung der über ganz Spanien verstreuten ETA-Gefangenen fordern. Jeder Baske der etwas auf sich hält nennt sich einen Sozialisten. Die Unterstützung für die verschiedenen, teils recht radikalen, Unabhängigkeitsgruppierungen reicht unverhohlen bis in die Mittelschicht hinein.
Mich und meinen nach Rasierwasser duftenden Begleiter zieht es zuerst einmal in eine der zahlreichen Bars entlang des Boulevards. Überall herrscht ausgelassene Stimmung, überall läuft das gleiche Programm: der Classico. Real Madrid gegen den FC Barcelona zieht wie gefühlte 20 mal im Jahr ganz Spanien in seinen Bann. Spätestens zur Halbzeit hat mich aber etwas ganz anderes in seinen Bann gezogen. Ein oder zwei Straßen zurückgesetzt steht eine dieser in ganz Spanien, ach in ganz Westeuropa, bekannten Bars. Rotes Licht, rote Wände, rote Gesinnung. Ob die regierende Baskische Solidarität, die inzwischen verbotene Herri Batasuna oder die blutverschmierte ETA, dies ist ihre Basis. Hier, im Halbdunkel, im Dunst von spanischem Bier und baskischem Marihuana, vermischen sich passiver und aktiver Wiederstand, lagales und illegales. Ausländer sieht man hier oben nicht viele und vielleicht auch nicht gerne.
Ein Ort wie geschaffen für mich. Ein kurzes Gespräch mit dem Besitzer und ich kehre zurück zum Classico. Morgen liegt ein Erholungstag vor mir und abends ein Road Cinema welches ein besonderes Kribbeln hervor ruft. An der Bar mit der roten Tür.
 

Am darauf folgenden Nachmittag schlage ich wieder vor der roten Tür auf. Besitzer Baseo freut sich sichtlich auf etwas Abwechslung. Er drückt mir ein Bier in die Hand und schon wird aufgebaut. Kaum hängen die ersten meiner Bilder scharen sich bereits die ersten Leute um mich. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit kann es losgehen. 
Seit etwa einer halben Stunde huschen bunte Luftaufnahmen von Korallenriffen, Vulkanen und Canyons über die Leinwand, da taucht ein etwa 40-jähriger stämmiger Mann mit kurzgeschohrenem Haaren auf. Am Eingang zum Innenhof mustert er mein Rad und spuckt schließlich gegen den Vorderreifen. Als er die Terrasse betritt streift sein Blick über die Gäste auf der Suche nach dem unbekannten Gesicht. Der zweite Blick fällt auf die Leinwand. Kurz verharrt er, dann spricht er Baseo kurz an und deutet mit einer Kopfbewegung in Richtung Leinwand. Baseos kurzgebundene Antwort endet mit der selben Kopfbewegung aber nun in meine Richtung. Mit zugekniffenen Augen mustert der Neuankömmling nun mich, beendet seinen Blick aber mit einem beschwichtigenden Kopfnicken. Vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Das Kino bringt mir erste Sympathiepunkte. 
Nach dem Ende des Films leert sich die Bar langsam. Im Hintergrund laufen zwar noch immer Filme auf der Leinwand, in den Mittelpunkt rückt aber nun der Essenstisch. Es gibt Ziegenkäse, Leberwurst, Tunfisch, anschließend Bacalau, alles mit reichlich Rotwein hinunter gespült, alles gut baskisch. Gesprochen wird vorwiegend Baskisch aber die Themen sind nicht schwer zu erraten: Das Gespräch kreist fast unentwegt um die Zentralregierung in Madrid, die Unabhängigkeit des Baskenlandes und die über ganz Spanien verstreuten Gefangenen der ETA. Während meine Gastgeber mir zuliebe wieder einmal kurz ins Spanische fallen, erwähne ich fast beiläufig die Existenz einer Splitterpartei namens Bayernpartei und deren Unabhängigkeitsbestreben. Zugegeben, vielleicht musste ich deren Bedeutung etwas künstlich aufpumpen, aber jetzt ist das Eis gebrochen. Selbst der Stämmige spricht plötzlich recht fließend Spanisch. Ausführlich muss ich praktisch jeden politgeschichtlichen Winkel meines Heimatwissens auskratzen: K & K Monarchie, Wittelsbacher, Jennerwein und Napoleon, alle müssen sie nun herhalten. Manches mag ohne Zweifel weit hergeholt sein. Aber das dürfte bei meinem Gegenüber nicht anders sein. Und so schlage ich mich wacker in der Höhle des Löwen.
Gegen drei Uhr morgens verlasse ich die rote Tür. Sie ist längst zum Stehausschank und zur Sammelstelle für alle Übriggebliebenen geworden. Wenn ich am nächsten Morgen mit brummendem Kopf am Strand aufwache wird Kiran, mein indisch-englischer Begleiter, bereits an Bilbao vorbei sein. Er hat 10 Dörfer, 20 Strände, 30 Felsen und 120 Kilometer Landstraße gesehen. Ich begnüge mich mit einem kleinen Stück Baskenland.



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2000 Miles to home

Die Ankunft an der Spanischen Grenze in fast 1800 m Hoehe und die Ankunft in Pamplona, meinem ersten Ziel waren grossartige Momente. Aus eigener Kraft durch ganz Frankreich getreten, aus eigener Kraft die Pyrineen ueberwunden und aus eigener Kraft bis Pamplona gefahren!
Die Ankunft nun in San Sebastian aber ist ueberwaeltigend! Nach mehr als 2300 km, nach 1 kg Reis, 1 kg Nudeln, 4,5 L Coca Cola, 70 L Wasser, 20 Laib Brot, ettlichen kg Obst und Gemuese, dutzenden von Kekspackungen, 15 L Milch, 2 Platten, einem verschlissenen Mantel einem gebrochenen Schaltauge! Rechtzeitig zum Sonnenuntergang rolle ich endlich die letzte Abfahrt hinunter. Vor mir liegt nun goldern schimmernd der Atlantik! Endlich am MeerIch parke die Iron Lady in den Arkaden der "Concha", der Bucht in der das Tretbood zum ersten Mal zu Wasser ging - irgendwie treffend. Heute draengen sich Wellenreiter in der wichtigsten der drei Buchten von San Sebastian. Ich sinke in den feinen Sand, lausche ein wenig dem Wellengang und stuerze mich dann fue eine Reise-Dusche in die Fluten.
Es liegt dieser ganz besondere Flair in der Luft, wie man ihn nur in Hafenstaedten findet. Marsaille Lissabon und Neaple haben ihn, aber auch Buenos Aires, Monte Carlo oder Rostock. Das raue Meeresklima scheint sich in den gesichtern und Koepfen der Einheimischen eingebrannt zu haben, gemischt mit der Ruhe und Gelassenheit des Meeresrauschens.
Ich kann es an diesem Abend noch nicht wissen, doch fuer mich endet an diesem Abend das Wettrennen mit Kilometern und Hoehenmetern. Die Ruhe und Gelassenheit des Meeres hat nun auch mich erfasst.