Ein europäisches Leben in Albanien
Als ich aus meinem Zelt krabble spüre ich die zweitägige Passüberquerung noch in den Beinen. Vor mir liegt nun aber eine nur leicht ansteigende Asphaltstraße. So ziehen die Kilometer bis Gramsh an mir vorbei. Schon am frühen Morgen erreiche ich Gramsh. Eine geschäftige Kleinstadt die aber das Zentrum für die unzähligen Orte und Hütten beiderseits des Flußes ist.
Ich folge der kleinen, aber geschäftigen Hauptstraße. Zu beiden Seiten säumen Cafes und Artikel des täglichen Bedarfs die Straße. Das lang erwartete Gramsh wirkt nach den zwei Tagen in den Bergen wie ein Einkaufsparadies. Mein Rad verlangt nach Pflege, mein Magen nach Essen und mein Gaumen nach Wasser.Nach den wichtigsten Erledigungen trete ich wieder in die Pedale. Schnell lasse ich den Ort hinter mir und mit ihm bleibt auch der Asphalt zurück. Die Fahrt nach Maliq gleicht der vom Vortag. Der selbe staubige Pfad, die selben erstaunten Blicke und die selbe herzliche Gastfreundschaft. Nach einer anstrengenden Tour über einen staubigen Pass taucheneinige hundert meter unter mir, gerade noch rechtzeitig zur Dämmerung einige Gebäude auf. Erst leerstehende Fabrikhallen und Wohnblocks, dann signalisieren ein Tisch und ein Stuhl unter einer nackten Glühbirne, dass ich angekommen war. Ein Kafe, meine Informationsbörse. In Albanien gibt es scheinbar kaum ein Prolem das sich nicht mit einem Kaffee lösen lässt.
Etwas über eine Stunde später sitze ich im Hause einer streng
muslimischen Familie. Der älteste Sohn der Familie hatte mich im Kafe
gesehen, die Erlaubnis seines Vaters eingeholt und mich dann wieder
in der Bar abgeholt. In gebrochenem Englisch erzählt er mir von
jemandem in seinem Haus der Deutsch spricht. Nach wenigen Schritten
haben wir mein Rad und all meine Habsehligkeiten bei ihm zu Hause.
Mit dem aber was nun auf mich wartete hatte ich nun wirklich nicht
gerechnet. Seit ich die Fähre aus Italien verlassen habe hatte ich
keine Ausländer mehr getroffen und dann steht in diesem vergessenen
Ort plätzlich eine etwa 30-jährige Holländer vor mir. Vor etwas mehr
als eineinhalb Jahren haben sie und ihr Mann sich kennen gelernt, vor
neun Monaten haben sie geheiratet. Zusammen mit seinen Eltern und
den beiden Geschwistern leben sie hier in völliger Abgeschiedenheit.
Irgendwo im Nirgendwo. Einmal täglich fährt ein Bus ins 30 km
entfernte Maliq, jeden dritten Tag bringt er auf dem Rückweg Brot mit
in die Berge.
Fünf
Monate ist sie inzwischen hier und wartet auf das ersehnte Visum für
ihren Mann. Zuvor hat sie drei Jahre in Griechenland gelebt. Mit ihrer
holländischen Heimat verbindet sie die Hoffnung auf ein Ende dieses
spartanischen und harten Lebens in den albanischen Bergen.
Sie
hat sich eingefügt in die albanische Gesellschaft. Gemeinsam mit ihrer
Schwägerin und der Schwiegermutter bereitet sie eilig das Essen und mein
Bett. Erst dann setzt sie sich zu ihrem Mann auf's Sofa. An's Fussende,
seine Füße im Schoß. Ohne Zweifel, sie hat sich kein leichtes Leben
ausgesucht. Es ist wohl einer der abgeschiedensten und rückständigsten
Orte die ich bislang in Europa gesehen habe. Frauen auf den Straßen
sieht man nur wenige und wenn, dann beim Einkaufen. Die zahlreichen
Kafes sind ausschließlich von Männern besucht. Getrunken wird türkischer
Kaffee und Raki. Morgens, mittags und abends. Arbeit gibt es nur wenig,
man lebt von harter Feldarbeit und Viehzucht. Für Frauen bleibt in
dieser Gesellschaft nur wenig Spielraum, vor allem für eine, die das
Leben in Mitteleuropa gewöhnt ist.
Albanisch spricht sie nicht.
Mit ihrem Mann spricht sie griechisch, der ersten Fremdsprache hier in
der Grenzregion, mit ihren Schwiegereltern gar nicht. Sie ist sichtlich
erfreut ob des deutschsprachigen Besuchs. Freudig stürzt sie sich auf
die angebotene Nutella aus meinem Rucksack. Ihr Mann verdreht die Augen
und erinnert an die Folgen für die Figur. Sein Lächeln wirkt dabei ein
wenig aufgesetzt. Ich frage nicht ob es ihr hier gefällt. Die Frage
erübrigt sich: das Essen schmeckt ihr nicht, das Leben ist ihr zu
einfach, der Himmel nicht blau genug und das Gras nicht grün genug. Es
hält sie hier nur die Liebe zu ihrem Mann. Über 1000 Euro hat sie
bereits investiert. Der ersehnte Stempel im Pass ihres Mannes aber ist
noch immer in weiter Ferne. Solange dieser fehlt scheint sie gefangen zu
sein hier oben zwischen Schafen und Kühen und zwischen Liebe und
familiären Zwängen.
Irgendwo in Europa
Mit dem Mountainbike durch Albanien
Die
B35 bis Cevic und dann weiter über die Autobahn bis zur griechischen
Grenze. Schon in zwei Tagen erreiche ich so Griechenland und ohnehin ist
die andere Straße unbefahrbar. Dieser gut gemeinte Ratschlag zeigt,
dass ich hier kein Verständnis ernten werde für das was ich vor habe.
Einfach zum Spaß mit dem Rad durch die Gegend fahren? Wenn der Weg schon
das Ziel ist, warum verläuft der Weg dann ausgerechnet durch Albanien?
Aber genau das wollte ich. Von der Adriaküste durch die einsamen Berge
Albaniens bis zur Ohrit-Seenplatte am griechisch-albanisch-mazedonischen
Dreiländereck. Der Berg Ana Porocan hatte auf dem Weg dahin aber noch
einiges mit mir vor.
Es ist noch früh im
Jahr. Die kilometerlangen Strände sind menschenleer, die Hotels mit
Brettern vernagelt. Die saftigen Wiesen liegen wie Reisfelder unter
einer dünnen Wasserschicht. Nach einer langen und relativ
anspruchslosen Etappe weg von der Küste bis hinein in die ersten
Bergtäler bricht der Abend herein. Kräftige grüne Hügel haben das
sumpfige Küstenland abgelöst. Der schwere Geruch nach Rohöl liegt in
der Luft. Wo entlang der Küste noch Schützenbunker standen ist die
Landschaft nun übersäht mit rostigen Ölfördertürmen. Die meisten
davon längst stillgelegt, andere bewegen sich noch immer unter
markerschütterndem Krächzen unentwegt auf und ab. Dazwischen immer
wieder bröckelnde Industrieruinen. Wie sowjetische Mahnmale erinnern die verfallenen
Fabriken an eine längst vergangene Zeit. Scheinbar haben die alten
Sowejtbauten keinen Platz mehr im heutigen Albanien. Mir dagegen
erscheinen die langsam verfallenden Bauten als idealer Wind- und
Sichtschutz um den Abend zu verbringen.
Dank des
ohrenbetäubenden Lärms der Öltürme sitze ich am nächsten Morgen
bereits um 6 Uhr auf meinem Rad und erreiche kurz darauf mein
Frühstückscafe. In der kalten, klaren Morgenluft genieße ich die
aufgehende Sonne und trinke starken, dampfendenden türkischen Kaffee.
Schnell sammelt sich eine Traube von Schulkindern. Spannend ist
dieser Alien auf dem in der silbrig schimmernden Fahrrad. Sehr
spannend sogar. Spannender gar noch als Mathe- oder
Englischunterricht. Neugierig begutachten sie mein Bike. Aufgepackt
wie ein Esel, besohlt wie ein Geländewagen und notdürfig mit
Kabelbindern zusammengehalten. Aus allen Taschen quellen wundersame
Dinge: Landkarten, Bücher, ein Zelt; ein wundersames Mobil. Wie immer
dauert es nicht lange bis jemand gefunden wird der ein wenig
italienisch spricht. Ob ich es denn gewesen sei der gestern Nacht in
der alten Ziegelfabrik geschlafenhabe? Woher ich denn sei und wohin ich den fahre. Und
warum nur? Und warum nicht auf der Autobahn? Nach einigen Minuten
treibt der Barbesitzer die Horde mit einem nassen Spültuch in die
Schule. Es kehrt wieder Ruhe ein. Einige Männer unterschiedlichem
Alters trinken Kaffee und Raki und erfreuen sich an der
morgendlichen Abwechslung. Aber die Ruhe währt nicht lange. Wenige
Minuten später knattert der nächste klapprige Schulbus vor, die
nächsten Kinder, die nächsten großen Augen und die nächste
Vorstellung, das nächste Spültuch, die nächste Ruhephase. Nach
einer Stunde hat mir der Barbesitzer endgültig jedes Poster der
deutschen Nationalmanschaft gezeigt, jeder Zentimeterauf der
Landkarte und jeder Millimeter am Rad wurde begutachtet und ich
kann mich endlich losreissen.
Steil geht es anfänglich die steinige und schlammige Piste hinauf.
Die kräftige Frühjahrssonne verschleiert die saftigen grünen
Wiesen in unwirklichem Wasserdampf. Gegen Mittag erreiche ich
Elbasan. Circa fünfzehntausend Einwohner leben in der Kleinstadt.
Dennoch ist sie das Herz der gesamten Region. Ein wichtiger
Versorgungsknoten für die ungezählten kleinen Dörfer und
Einsiedlerhöfe in den Bergen rundherum, nicht mehr und nicht
weniger. Je weiter ich ins Landesinnere vordringe, um
soungläubiger verfolgen mich die Blicke. Aber so wenig die Albaner
nachvollziehen
können welcher Teufelmich reitet, ausgerechnet hier über Stock
und Stein zu schaukeln, so sind sie doch neugierig und
gastfreundlich. Schmierfett nachfüllen, Fahrrad waschen, im Laden
übersetzten oder Kaffee, Brot und Raki besorgen? Für jedes Problem
gibt es eine Lösung. Nur bei der Suche nach einem anderen Weg als der
Autobahn, da bleiben plötzlich alle sprachlos.
Ein Tourist zu Gast
Mir
bleibt nichts anderes als der Landkarte zu vertrauen, die mich in
den Tagen zuvor schon mehrfach in die Irre geführt hatte.
Unbarmherzig brennt mir nun die Nachmittagssonne auf meinen Rücken.
Meine Zunge klebt am Gaumen und ich frage mich ob die geladenen
sieben Liter Wasser wohl ausreichen werden. Die Passanten sind sich
einig, der Pass ist unbefahrbar. Aber ich bin skeptisch geworden und
höre nur noch "Ich würde da nicht mit dem Fahrrad hochfahren".
Unbeirrt setze ich meine Fahrt fort. Am übernächsten Tag plane ich
die Füße in den rießigen Bergsee zu stecken.
Dazwischen liegen ca. 80 km unbekannten Terrains. Orte sind auf
dieser Strecke keine eingezeichnet. Tatsächlich endet die typisch
albanische Besiedlung schnell und die sonst allgegenwärtigen „Kofes“
und „Minimarkets“ verschwinden. Nach zirka zwei Stunden habe ich die
letzten kleinen Dörfer hinter mir gelassen und die Nachmittagshitze
ist einem kühlen Wind gewichen. Statt dessen ziehen nun dunkle
Regenwolken über den Himmel. Ein kräftiger Regenschauer wird immer
wahrscheinlicher und die Frage nach meiner Unterkunft für diese
Nacht damit um so dringlicher. Wie aus dem nichts springt da ein
etwas unterestzter, schwarzhariger Mann die Böschung herunter und
landet direkt vor meinem Rad. Nach einigen hastigen Sätzen begreift
er, dass wohl nur die Zuhilfenahme der Hände eine Kommunikation
ermöglicht. Wie ein erfahrener Pantomime erzählt er von den wilden Wesen
des Waldes und der nächtlichen Kälte. Draußen zu schlafen sei da
undenkbar, vielmehr müsse ich zu ihm kommen, bei ihm schlafen, essen und
seine Familie kennenlernen. Ich bin zuerst skeptisch und lehne dankend
ab. Lieber suche ich weiter nach einem geeigenten Platz für mein Zelt.
So leicht aber lässt sich Veli nicht abschütteln. Während ich mein Rad
mühsam den Berg hinauf zwinge, trabt Veli grinzend neben mir her. Ein
weiterer langer Anstieg und ich gebe auf. Eng an den Berg geschmiegt
tauchen nun schiefergedeckte Häuser und Holzhütten auf. Noch während ich
erschöpft neben meinem Fahrrad zusammensinke bildet sich das übliche
Grüppchen. Eine Hand voll neugieriger Alter, werfen sich gegenseitig
kurze Sätze zu, schütteln den Kopf und lachen immer wieder herzhaft auf.
Einige Halbstarke kramen ihr bestes Englisch heraus und versuchen sich
gegenseitig zu überzeugen, mit mir die Weiterreise anzutreten. Dazu eine
unüberschaubare Menge von Kindern die ungläubig und ein wenig
schüchtern versuchen dieses Phänomen zu entschlüsseln. Einige Minuten
werde ich eifrig zum Sitzenbleiben ermahnt, dann kommt Alki. Die
16-jährige Tochter des örtlichen Wasser-Technikers trägt einen
Kapuzenpullover, eine ausgewaschenen Trainingshose und einen etwas
skeptischen Blick. Scheinbar als einzige im Dorf spricht sie passables
englisch. Und wird so zum Dolmecher auserkoren. Etwas verlegen und
unwillig übersetzt sie die üblichen Fragen der Umstehenden. Nach einer
kurzen Erklärung für mein plötzliches Erscheinen wird einhellig
beschlossen, dass im Zelt zu schlafen keine akzeptable Lösung sei. Eilig
wird ein Zimmer im elterlichen Haus bereitet und das Abendessen
gerichtet. Fleißig dolmescht Alki das Gespräch zwischen mir und den
beiden Herren des Hauses, Alkis Vater Valon und ihrem Bruder Veli.
Während Akli´s Mutter und Schwester eilig das Abendessen bereiten erntet
Alki hochachtungsvolle Blicke ob ihrer Weltgewandheit. Fasziniert
folgen die beiden Männer meinen Finger über der Landkarte und Alkis
Worten von der Fähre und den Orten über die ich hier hergelangt bin. Ich
Frage nach dem Weg nach Pogradec. Es folgt eine längere albanische
Diskussion zwischen Veli und Valon und dann Alkis kurze Antwort "We
don´t know." Ich erzähle von meiner geplanten Weiterfahrt, die beiden
Männer von ihrer Arbeit. Das zierliche, dunkelharige Mädchen versucht
konzentriert alles möglichst wörtlich wiederzugeben. Das Abendessen wird
aufgetragen. Kartoffeln, Brot, Gebäck, Eier, Butter, Ziegenkäse,
zahlreichen Schälchen mit undefinierbaren Pasten und Eingelegtem und
natürlich Raki. Alki mischt sich nun immer mehr ins Gespräch ein. Immer
wieder berichtigt sie scheinbar den Vater schon bevor der das Wort
wieder an mich wendet. Zunehmend lockerer nimmt sie auch die
Informationsweitergabe an die Familie. Sie genießt die seltene Rolle im
Mittelpunkt. Und sie genießt, dass niemand ihre Worte versteht. Als ich
ihr aus meinem Fundus noch ein Paar Ohrringe schenke ist sie kaum mehr
zu halten. Nach kurzer Anprobe und Begutachtung beginnt sie nun zu
plaudern. Erzählt von der Schule und ihrem Alltag hier oben in den
Bergen. Ihren schmalen Lippen entfährt immer wieder ein leichtes
Lächeln, ihre kastanienbrauen Augen beginnen zu strahlen. Förmlich
spürbar wächst Alkis Selbstbewusstsein immer weiter. Nach dem Abendessen
verabschiede ich mich. Auf mich wartet ein Bett. Ein richtiges Bett!
Mit Bettdecke und Zimmerdecke! Den Wecker stelle ich schwerem Herzens
auf 5:30. Der Tag beginnt früh in Albanien.
Raki, Schnee und Unverständnis
Durch
die Vorhänge dringt helle Morgensonne. Ich öffne die Tür und vor mir
öffnet sich ein schier endloser Ausblick auf grün bewaldete Hügel.
Inzwischen ist es schon sechs und vor meiner Tür wartet Veli schon. Was
es denn zu essen sein darf? Ob Kartoffeln, ob Brot oder Fritas, ob
Kaffee oder Tee, ob Raki? Valon ist schon aus dem Haus, Alki dolmetscht
noch kurz die Worte ihrer Mutter, dann ist auch sie auf dem Weg zur
Schule. Nach dem Frühstück und dem kläglichen Versuch mich bei der
Mutter auf albanisch zu bedanken und zu verabschieden breche auch ich
wieder auf. Nur eine Kurfe weiter
komme ich schon wieder zum Stehen. Vor mir drängen sich Duzende Leute
auf einen kleinen Marktplatz. Eingekreist von windschiefen
Bretterbuden gibt es alles was das Leben hier in den Bergen verlangt.
Direkt auf dem staubigen Boden liegen Lebensmittel neben Kleidung,
neben Raki und überall chinesische Billigimporte. Da ich noch immer
nicht weiß wie es weiter geht, mache ich Halt in einem nahegelegenen
Cafe. Die einfachste und amüsanteste Möglichkeit an meine täglichen
Informationen zu kommen: Hinsetzten, Kaffee trinken und warten bis
ein Dolmetscher kommt. Die Männer die aus den umliegenden
Einsiedlerhöfen auf den Markt gekommen sind können mich nun endgültig
überzeugen: Der Pass ist unbefahrbar. Hüfthoher Schnee
und natürlich weiß keiner wie weit es ist. Das ist mir zu
riskant. Bereit umzukehren bin ich trotzdem nicht. Auf der Karte
deute ich auf einen Ort nach dem anderen. Bizhan?
Kopfschütteln! Ceruje? Kopfschütteln! Gramsh? Ein zweifelndes
Raunen macht die Runde. Ich weiß jetzt wohin es nun geht. Statt
zwischen den Bergen durch geht es jetzt einmal herum.
Durchs Abenteuerland
Schwer beladen holpere
ich den oftmals unterspülten Weg hinunter. Regen setzt ein und die
Steine werden gefährlich glatt. Auf Kilometer sehe ich den Weg sich
langsam ins Tal winden. Trotz Handschuhe werden meine Finger langsam
kalt und steif. Der Fahrtwind aber riecht nach Freiheit und
Mountainbike-Abenteuer. Ab und an überhole ich ein Auto, ab und an
überholt mich ein Roller. Stundenlang geht es bergauf und bergab. Je
weiter ich vordringe ins Tal um so schlechter wird der Weg. Erdrutsche
machen sie zuerst für Autos unpassierbar und plötzlich endet erauch für mich. Hinter mir 6 Stunden
Schotterpiste, vor mir ein reißender Gebirgsbach und über meinem Kopf
eine große, neue Betonbrücke, ohne Zugang allerdings. Zwei Meter
ragt der letzte Brückenpfeiler über meinem Kopf in die Luft. Mit Rad
unerreichbar hoch. Die Dämmerung ist nicht mehr weit und meine
Wasser- und Lebensmittelvorräte gehen zur Neige. Ich schiebe mein
Rad am Ufer entlang, auf der such nach einer flacheren Furt. Einen Kilometer
flussabwärts werde ich fündig. Zwar ist die Strömung kaum geringer, allerdings verschwindet der Fluß wenig später zwischen den Felsen.
Meine einzige Chance ist es, den Fluß hier zu über queren: Hier teilt er
sich und gibt in der Mitte eine kleine Sandbank frei. Schon 20 Meter
oberhalb steige ich ins eiskalte Wasser, die Strömung wird mich hoffentlich auf der Sandbank anlanden lassen. Meter für Meter schiebe ich mich durchs Wasser.
Mein Fahrrad samt Gepäck balanziere ich über meinem Kopf. Das kalte
Wasser und die Anspannung lassen mir den Atem stocken. Mit jedem Schritt
wird das Wasser tiefer und reißender. Der Wasserdruck beginnt meine
Laufrichtung zu bestimmen. Ich bin immer mehr damit beschäftigt Fahrrad
und Gepäck über mir in den Himmel zu strecken, doch dann lässt die Strömung nach. Mit wenigen großen Schritten lasse ich
mich hinüber auf die Sandbank treiben. Erst jetzt kann ich die
tatsächliche Tiefe des zweiten Wasserlaufs abschätzen. Dieser ist zwar
noch tiefer als der erste, dafür aber weniger reißend. Langsam tauche
ich Schritt für Schritt tiefer ins Wasser ein bis zur Hüfte und
plötzlich geht es wieder hinauf. Kurz darauf bin ich am Ufer angekommen.
Wo mir gerade noch das Herz stillstand, rast es jetzt. Eine kleine
Unsicherheit und all meine Sachen wären schon einen Tag vor mir im
Ohrit-See gelandet. Ein Gedanke der sich erst
jetzt in meinem Kopf breitmachen darf. Kurz danach endet der sandige
Pfad auf die asphalierte Hauptstraße nach Gramsh. Für heute bin ich am
Ziel.
Einen erholsamen Tag später
sitzte ich vor meinem Zelt direkt an der mazedonischen Grenze. Neben
mir lodert das gepanschte Benzin in meinem Kocher, vor mir liegt der endlose Lake Ohrit, dahinter
die schneebedeckten Gipfel. Ich schaue in den roten Abendhimmel und atme
die feuchte Frühlingsluft ein. Schon jetzt werde ich ein
wenig wehmütig wenn ich zurück denke an die wundervollen Tage in einer
vergessenen Ecke Europas.