Die Frage aller Fragen

Irgendwie und ganz ins Geheim zweifelt wohl jeder dann und wann. Schlechtes Essen, durchzechte Nächte am Bahnhof, Regenschauer und Magenprobleme mitten im Nirgendwo. Das geht auch am hartgesottensten Backpacker nicht ganz spurlos vorbei. Umso interessanter ist diese Frage. Warum tun wir uns das dann an? Weshalb nehmen wir all diese Strapazen auf uns und worin liegt diese besondere Magie des Reisens?

Vielen habe ich diese Frage gestellt und schnell stellte ich fest, nicht nur mich beschäftigte die Frage nach dem Warum. Jeder hatte schon Antworten parat. Der Genuss der landschaftlichen Schönheit, die kulturelle Erfahrung oder die grenzenlose Selbstbestimmung auf Reisen. Aber irgendwie zieht das bei mir nicht. Schön ist es in den bayrischen Alpen auch und Kultur erleben geht auch einfacher. Von Selbstbestimmung ganz zu schweigen!

Aus Cuba 2009

Viel zu oft verhindern schneebedeckte Berge die Weiterfahrt, Wasservorräte bestimmen über den Tagesablauf und die Auswahl im Dorfladen über den Speiseplan. Trotzdem sind wir bereit unsere bequemen Wohnungen einzutauschen und stattdessen in holprigen Zügen, schmuddligen Hostels und auf harten zu schlafen. Monatelang verzichten wir auf Strom, Kühlschrank und Waschmaschine. Wir ernähren uns schlecht, duschen zu selten und unser eigenes Spiegelbild entfremdet uns mehr und mehr. Und dennoch zieht es uns immer wieder hinaus wie einen Seemann aufs Wasser.

Aus Cuba 2009

Auf die Frage nach dem Warum fällt mir keine Antwort ein. Aber mir werden Erinnerungen und Bilder ins Gedächtnis gerufen, fast spüre ich die warmen Sonnenstrahlen und dicke Regentropfen, den Wind und die Düfte in der Luft. Anekdoten erwachen vor meinem geistigen Auge zu neuem Leben: Die von Vito, dem albanischen Bergdoktor, der auf seinem Roller die holprigen Bergstraßen hinauf in die abgelegenen Dörfer fährt und selbstgebraute Tiermedizin verabreicht. Oder die von der unglücklichen Holländerin die glücklich verliebt in einem dieser Bergdörfer lebt. Unter der strengen Aufsicht des Schwiegervaters wartet sie seit über einem Jahr auf das ersehnte Visa für ihren albanischen Mann und auf ihre Rückkehr in die zivilisierten Großstädte Mitteleuropas. Oder die von der Fahrrad-Panne auf der Autobahn, die vom Grenzbeamten der nicht aufhört zu reden und die vom versteckten Peso-Restaurant in Havanna. Mir scheint als liefe die Welt auf Reisen im Zeitraffer. Fremde werden in kürzester Zeit zu Freunden und das Unerwartete wird zum Normalfall. Die Tage erscheinen als hätten sie nur noch 15 Stunden, Wochen dafür als hätten sie 10 Tage. Der Lauf der Welt um einen herum bestimmt die Normalität. Handgepflügte Felder, kilometerlange Strandpromenaden, entlegene Bergdörfer und der Muezzin der das nächtliche Froschkonzert durchbricht. In seinem Kontext gesehen alles völlig normal, völlig selbstverständlich. Nichts davon fremd und ungewöhnlich, außer vielleicht man selbst. Wie hineingeworfen steht man klein und unbedeutend mitten auf dieser facettenreichen und uralten Welt. Täglich entscheidet sie erneut welches Schicksal sie uns heute andenkt und was sie uns als normal vorgaukelt. Uns bleibt nichts anderes als Ausschau zu halten nach Treibholz und Felsen und uns in diesem Strom hinunter treiben zu lassen.

Aus Iberische Halbinsel 2008

Kommen wir dann zurück nach Hause, so verlangt unser Körper einzig nach Ruhe und Erholung. Das wofür wir ausgezogen sind haben wir vermutlich wieder nicht gefunden. Schön war´s trotzdem. Es waren wieder keine entspannenden Wochen am Meer. Der Rücken hart vom schweren Rucksack, die Knie schmerzen von den endlosen Märschen durch Stadt, Land und Fluss und die Nase tropft vom nächtlichen Wind. Während unser Körper nach einer Verschnaufpause giert ist der Geist völlig erholt. Das Unerwartete, das hinter jeder Straßenecke lauerte hat ihn geweckt. Er sprüht vor Energie und Kreativität. Das Leben wirkt real und greifbar.

Setzt man nun all diese Dinge zusammen, setzt sich langsam ein Puzzle zusammen und man erhält was eine solche Reise ausmacht: die Entdeckung eines weiteren Stücks dieses faszinierenden und vielseitigen Planeten.